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Die Qualität öffentlicher Debatten und der demokratische Austausch stehen unter Druck. Eine zunehmende Polarisierung und veränderte Mediengewohnheiten erschweren es, innerhalb der Gesellschaft ein gemeinsames Verständnis für zentrale Herausforderungen zu schaffen und ohne ideologische Scheuklappen respektvolle und lösungsorientierte Diskussionen zu führen. Das Projekt „Bevölkerungsrat 2025“ der Universitäten Zürich und Genf untersucht, ob und wie Bevölkerungsräte demokratische Debatten bereichern und Raum für differenzierte Diskussionen schaffen können – fundiert, kontrovers und auf Augenhöhe.
Herausforderungen: Polarisierung und Mediengewohnheiten
Zwei zentrale Entwicklungen stellen die Qualität des demokratischen Austauschs vor Herausforderungen: die zunehmende Polarisierung und veränderte Mediengewohnheiten. Politische Polarisierung an sich ist wenig problematisch, sondern in erster Linie ein begrüssenswerter Ausdruck einer hohen Vielfalt an unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven. Problematischer für den demokratischen Diskurs ist hingegen die sogenannte affektive Polarisierung. Sprich, die Tendenz, anderen politischen Positionen oder gesellschaftlichen Gruppen mit besonders starken negativen Emotionen zu begegnen. Dies birgt die Gefahr, dass sich unterschiedliche Gesellschaftsgruppen einander weniger zuhören, das gegenseitige Verständnis für andere Sichtweisen verloren geht und sie sich nicht mehr auf Argumente und Sichtweisen von Andersdenken einlassen, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden.
Auch die veränderte Medienlandschaft und -nutzung beeinflusst den demokratischen Diskurs. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Jahrbuchs «Qualität der Medien» zeigt, dass die Nutzung von Nachrichtenmedien in den letzten Jahren abgenommen hat und mittlerweile über 40 Prozent der Bevölkerung kaum noch Nachrichten konsumiert. Die zunehmende Medienkonzentration und der damit verbundene Rückgang der inhaltlichen Medienvielfalt verschärfen die Situation zusätzlich. Gleichzeitig nutzen vor allem Jugendliche und junge Erwachsene die sozialen Medien als Hauptinformationsquelle für politische Themen. Dies fördert den Konsum von ungefilterten, teilweise nicht überprüften Informationen und birgt die Gefahr, sich in Meinungsblasen zu bewegen.
Mit dem Projekt «Bevölkerungsrat 2025» soll unter anderem untersucht werden, inwiefern neue Formen der Demokratie diesen Herausforderungen entgegenwirken können. Im Fokus steht die Frage, inwiefern sich Bevölkerungsräte dafür eignen, wichtige gesellschaftliche Debatten auszutragen, das Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen zu fördern und damit einen Beitrag zu einer konstruktiven und vielfältigen öffentlichen Debatte zu leisten. Um diesen Fragen nachzugehen, wird im Rahmen dieses Forschungsprojekt auch untersucht, inwiefern das Ergebnis aus dem Bevölkerungsrat zur Meinungsbildung von Personen beiträgt, die selbst nicht Teil der Diskussionen im Bevölkerungsrat waren.
Im Fokus: Gesundheitskosten als grössten Sorge
Die Themenwahl für den Bevölkerungsrat erfolgte in einem transparenten und breit abgestützten Prozess, der die Gesundheitskosten als besonders dringliches Thema identifizierte. Dass die Themenwahl auf die Gesundheitspolitik fiel, überrascht indes nicht: Das Thema gehört seit Jahren zu den grössten Sorgen der Bevölkerung, und die Politik tut sich schwer damit, nachhaltige Reformen zu verabschieden. Dies nicht zuletzt, weil die Gesundheitspolitik von einflussreichen und oftmals gegensätzlichen Interessen geprägt ist und sich durch zahlreiche Konfliktdimensionen auszeichnet. Wollen wir ein Gesundheitswesen, das die Eigenverantwortung in den Vordergrund stellt oder eines, das die Solidarität zwischen Kranken und Gesunden höher gewichtet? Wie sollen die Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen aufgeteilt werden? Wollen wir ein Gesundheitssystem, das sich stärker an den Kosten orientiert oder eines, das eher die Qualität der Leistungen zum Massstab nimmt?
Das Gesundheitswesen steht exemplarisch für ein Politikfeld mit zahlreichen Zielkonflikten. Der Bevölkerungsrat wird die Herausforderungen im Gesundheitswesen nicht abschliessend lösen können. Vielmehr schafft der Bevölkerungsrat einen Raum, in dem ein vielfältiges Abbild der Bevölkerung diese Zielkonflikte gemeinsam verhandelt und sich in die Diskussion über mögliche Reformen im Gesundheitswesen einbringt. Die Ergebnisse aus diesen Diskussionen widerspiegeln eine gemeinsam ausgehandelte, informierte Meinung eines Querschnitts der Bevölkerung, wie den steigenden Gesundheitskosten begegnet werden sollen. Die Sichtweise des Bevölkerungsrats leistet somit einen Beitrag für eine informierte öffentliche Debatte zu einer der grössten Sorgen der Bevölkerung.
Andri Heimann